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Neue Studie bezüglich gravierender Abnahme unserer Pflanzendiversität

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Zitat von Simbienchen am 4. Januar 2021, 21:23 Uhr

Das immer wieder zu lesen, macht einen auch manchmal ohnmächtig! Da muss man sich selbst auch immer wieder mal besinnen, was man alles geschafft hat um nicht zu hadern, wenn man rundherum immer noch zusehen muss, was an Artenvielfalt verschwindet....

Ich mag nicht mehr auf andere gucken oder versuche auf Biegen und Brechen zu missionieren, das macht mich nur traurig. Da bleibe ich lieber bei mir, fasse mich an die eigene Nase und geb mein Bestes. Still bin ich deswegen nicht und ich habe auch schon viele Menschen erreicht und bewegt, aber ich mag dabei nicht aufdringlich sein...

Zeigen, Reden, Aufklären sind wichtige Mittel dabei...

Ich habe mich deswegen auch für den Lehrgang zum Zertifizierer angemeldet. Im letzten Jahr  war die Nachfrage nach der Zertifizierung von Naturgärten enorm.  Nur mit großem Einsatz war es möglich, alle Gärten zu bewerten.  Daher war und ist es wichtig, dass mehr Zertifizierer ihre Dienste anbieten würden. Nach Möglichkeit sollten die Zertifizierer im ganzen Landkreis verteilt sein, so dass jeweils nur kurze Anfahrten zu den Gärten anfallen würden.

Ich hoffe, dass ich dieses Jahr meine Plakette " Zertifizierter Naturgarten" ausgehändigt bekomme. Die Verleihung wurde ja 2020 wegen Corona verschoben.

Desweiteren werde ich meine Naturgarten- Gruppe in unserem OGV weiterführen und hoffe in diesem Jahr auf mehr Interesse und Bewegung...

Ebenso liegt mir weiterhin das Wiesenfelden- Projekt mit der Igelhilfe Straubing sehr am Herzen! Auch dort werde ich dieses Jahr weiter tätig werden.

Und ganz besonders werde ich auch weiterhin in meinem Hortus pflanzen, säen, weitere Lebensräume schaffen, was mir möglich ist....

Ganz toll und lobenswert, Simone. Dein Einsatz ist wirklich vorbildlich. Das wird sicherlich schon sehr viele positive Impulse geben, da bin ich mir sicher. Wahrscheinlich sogar mehr als Du selbst glaubst.

tree12 und Evy haben auf diesen Beitrag reagiert.
tree12Evy
Zitat von tree12 am 4. Januar 2021, 19:53 Uhr

Danke, Evy, für Deinen Beitrag...  Ja, es ist total niederschmetternd, wie schnell und relativ unbemerkt es mit dem Artensterben voranschreitet... Niemand mag auf die hören, die es wissen, die forschen und zum Handeln aufrufen.

Ehrlich gesagt, finde ich sogar die Resonanz auf Artikel wie die von Dir und mir eingestellten hier im Forum dürftig. Jedes Blumenbild findet mehr Beachtung.

Ich denke auch, dass die Resonanz bei positiven Bildern höher ist, weil man sich gerne an Erfolgserlebnissen motivieren möchte. Solche niederschmetternden Berichte lassen einen so hilflos erscheinen.

Ich finde es klasse, wie Simbienchen es macht! Es scheint wirklich keine andere Lösung zu geben.

Mich macht es aber fertig, dass ich nicht mal mit meiner eigenen Familie drüber reden kann, ohne dass bagatellisiert wird. "Also bei uns gibt es sooo viele Vögel." "Deutschland ist Vorreiter in erneuerbaren Energien, da sind wir schon besser als andere Länder." "Den Lebensstil habe ich mir verdient, ich arbeite ja auch hart." "Von dir nehme ich keine Tipps an, obwohl ich noch nie in deinem Garten war, sondern nur ein Bild von deiner Totholzhecke gesehen habe." "Die Wissenschaft ist sich bei Corona auch nicht einig, also übertreiben die auch mit dem Artensterben."

Ich sollte vielleicht wirklich mehr Energie in die Suche nach Gleichgesinnten vor Ort stecken...

tree12, Gsaelzbaer und Gelöschter Benutzer haben auf diesen Beitrag reagiert.
tree12GsaelzbaerGelöschter Benutzer

Kennt ihr das Buch 'der Gesang des Dodo'? Ein ganz tolles Buch über Inselbiogeographie. Hört sich jetzt kompliziert an, man kann es aber lesen wie einen Roman trotz geballtem wissenschaftlichen Hintergrunds. Da geht es um den speziellen Lebensraum Insel und die Verinselung in unserer Landschaft die entsteht durch Städte, Autobahnen, Zäune, Bahntrassen etc.

Hier ein Auszug aus dem Buch, der mich jedes Mal wenn ich ihn lese zum weinen bringt. Es zeigt so deutlich wie das Artensterben unbemerkt und schleichend passiert

(Raphus cucullatus ist der Dodo)

Hochgeladene Dateien:
  • P1080729.JPG
Evy hat auf diesen Beitrag reagiert.
Evy

Mü, diese Stelle im Buch ist wirklich heftig und so unsagbar traurig.... Ich kenne das Buch nicht, verstehe aber vollkommen, wie Du Dich bei der Lektüre fühlst. Es ist "Umwelttrauer", ein neuerer Begriff, den es tatsächlich gibt und der widerspiegelt, was in Leuten wie uns vor sich geht.... :-(

Ich glaube, daß nur ca. 20 % der Deutschen schnallt, daß es das Artensterben wirklich gibt, wie unaufhaltsam schnell es vonstatten geht, was das für uns alle bedeutet, daß es schlimmer ist als Corona (das ja ebenfalls durch den Menschen verursacht wurde). Die anderen 80 % sind mehr oder minder ignorant, interessieren sich nur für Shoppen und Reisen...

Es liegt eine gewaltige Aufgabe bei all denen, die zu den 20 % gehören... wir müssen weitermachen, uns gegenseitig stärken und motivieren, uns besser vernetzen, die Werbetrommel rühren, Müll und Energie einsparen und uns wieder und wieder für Lebensraumerhaltung stark machen.

Lebensraumerhaltung und die Schaffung von Korridoren zur Biotopvernetzung sind das A und O. Wir fangen im eigenen Garten an, schreiben an unsere Kommunen, spenden für Regenwald/Streuobstwiesen/Moorprojekte, nerven Politiker mit Mails und Petitionen... Nicht verzweifeln und verzagen, die Tränen wegwischen und weiterkämpfen.

Meine Zeilen gelten auch Dir, liebe Evy. Bleib stark, Du machst das Richtige, steter Tropfen höhlt den Stein. Irgendwann wird auch Deine Familie erkennen müssen, daß sie falsch liegt und nichts harmlos ist. Und ja, such Dir einen Organisation in Deiner Nähe, wo Du Gleichgesinnte treffen kannst, dieser Ansatz ist richtig!

Fühlt Euch beide umarmt...

Frank Schroeder, Evy und 4 andere Benutzer haben auf diesen Beitrag reagiert.
Frank SchroederEvyDorotheeGsaelzbaerGelöschter Benutzer

"Ich sollte vielleicht wirklich mehr Energie in die Suche nach Gleichgesinnten vor Ort stecken..." das ist für mich die Essenz aus 30 Jahren Umweltschutz.

Simbienchen, tree12 und 4 andere Benutzer haben auf diesen Beitrag reagiert.
Simbienchentree12EvyDorotheeGsaelzbaerGelöschter Benutzer

Danke Andrea für deine mitfühlenden Worte. ich hatte den Text schon lange nicht mehr gelesen und seit ich ihn hier eingestellt habe weine ich immer wieder.

Danke auch für das Wort 'Umwelttrauer'.

hier ein Musikvideo von meinen Neffen-Nichten welches genau die Umwelttrauer ausdrückt (gedreht an meinem Lieblingsort auf dieser Welt)

(dauert ein bißchen bis es geladen ist - Geduld!)

'http://muvico.de/wp-content/uploads/2020/05/JoMiLi-Es-brennt.mp4'

Hm, aus irgendeinem Grund funktioniert es nur wenn man die adresse kopiert. Der link geht nicht. Aber machts, das lied ist toll.

 

 

 

tree12 und Evy haben auf diesen Beitrag reagiert.
tree12Evy

Ja, vielen Dank für die Worte! Hab mir wirklich eine Träne weggewischt...

tree12 hat auf diesen Beitrag reagiert.
tree12

Evy und Mü, ich freue mich, daß ich ein klein wenig trösten durfte... Fühlt Euch nicht alleine, man denkt nur immer, daß man es wäre... Wenn man mit (fremden) Leuten ins Gespräch kommt, merkt man plötzlich, daß da auch Interesse für Natur, Tiere und Klima vorhanden ist. Nur wissen viele nicht, wie sie helfen können oder daß kleine Maßnahmen wie etwas Unordnung im Garten zulassen, schon viel bewirken können.

Ich bin eigentlich auch jemand, der randvoll ist mit Umwelttrauer, und zwar bin ich schon sehr, sehr lange randvoll... aber ich schreibe viel, in Foren, in Mails, ich versuche, passende Leute zu vernetzen, Mitarbeiter in Behörden zu sensibilisieren. Und wenn ich sehe, daß ich mit ein paar Zeilen jemanden ein ganz klein wenig aufrichten kann, tue ich das von Herzen gerne.

Bleibt aktiv, im Garten, in entsprechenden Foren, bringt Euch da ein, sucht nach Organisationen in Eurer Nähe, guckt, ob sich im eigenen oder im Nachbargarten oder im Garten der Verwandten noch kleine Projekte realisieren lassen.

Nur wer sich selbst als total ohnmächtig erlebt, wird unendlich trauern und sich gelähmt fühlen... Wer das Gefühl hat, aktiv die Welt ein wenig besser machen zu können, bekommt neuen Schwung. Krönchen richten und weitermachen...

Frank Schroeder, Evy und 2 andere Benutzer haben auf diesen Beitrag reagiert.
Frank SchroederEvyDorotheeGsaelzbaer
Zitat von tree12 am 4. Januar 2021, 19:53 Uhr

Danke, Evy, für Deinen Beitrag...  Ja, es ist total niederschmetternd, wie schnell und relativ unbemerkt es mit dem Artensterben voranschreitet... Niemand mag auf die hören, die es wissen, die forschen und zum Handeln aufrufen.

Ehrlich gesagt, finde ich sogar die Resonanz auf Artikel wie die von Dir und mir eingestellten hier im Forum dürftig. Jedes Blumenbild findet mehr Beachtung.

....unbemerkt, finde ich nicht Andrea!

Wenn sowas irgendwo thematisiert wird, bringe ich immer gerne das Beispiel mit den Autoscheiben. Erinnert ihr euch noch? Ja, dreckig, verschmiert und sonst noch was waren die. Richtige Schläge hat es gelassen, des Nachts, wenn wieder ein dicker Falter gegen die Scheibe klatschte. Ich hatte immer Mitleid mit den Faltern, schon als Kind. HEUTE wäre ich froh es würde mal wieder "klatschen".

An den Tankstellen gibts noch nicht mal mehr Fliegenschwämme zu kaufen.....damit ist doch alles erklärt und es hat garantiert niemand hat ein Gegenargument!

Denn, nein! An der besseren Aerodynamik liegt es nicht, so gut wie nicht.....

Primulaveris hat auf diesen Beitrag reagiert.
Primulaveris
Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. (Victor Hugo)
Zitat von Evy am 4. Januar 2021, 19:41 Uhr

Wenn man die Augen und Ohren offen hält, bemerkt man zwischen den ständigen Corona-Nachrichten immer weitere Hiobsbotschaften:

Der WWF sagt, dass mittlerweile 30% aller Tier- und Pflanzenarten auf der Roten Liste stehen: https://www.wwf.de/themen-projekte/weitere-artenschutzthemen/gewinner-verlierer

Im MINT Zirkel war ein Artikel zum menschengemachten "Ende der Evolution" von Matthias Glaubrecht. Jetzt werden schon 1000-seitige Bücher verfasst, wie der Mensch Defaunation betreibt und sich damit den Ast, auf dem er sitzt, absägt.

Hab euch den Artikel mal konvertiert:

MINT Zirkel (Dezember 2020, S. 1-2)

Vom Ende der Evolution

Während alle vom Klima reden, findet weitgehend unbemerkt ein vom Menschen verursachtes Artensterben statt. Diese "Defaunation" des Anthropozäns - die Entleerung der Tierwelt in der Menschenzeit - ist der neue Klimawandel: eine weitere große Bedrohung der Menschheit.

Als der amerikanische Astronaut William Anders vor einem halben Jahrhundert, am Heiligabend 1968, mit der Apollo-8-Mission in 780 Kilometer Höhe den Mond umrundete, sah und fotografierte er erstmals den Aufgang der Erde über dem Mond. Das Bild „Earthrise", der Anblick unseres Heimatplaneten aus dem Weltall, wurde zum Symbol für die Fragilität und die Isolation der Erde im Kosmos. Dieser Blick markiert zugleich den Beginn eines neuen Umweltbewusstseins. Vielleicht beeindruckt uns das Bild dieser kleinen blauen Murmel vor dem unendlichen Schwarz des Universums bis heute auch deshalb so sehr, weil uns dabei klar wird, dass wir Erdlinge nur diesen einen Planeten haben. Selbst wenn Menschen Irgendwann einmal zum Nachbarplaneten Mars fliegen, zum Leben haben wir nur diesen einen Planeten Erde, den wir schützen und erhalten müssen.

Diese Perspektive auf die Erde hält zudem ein Paradoxon bereit: Wir geben Milliarden Dollar für Versuche aus, zum Mars zu fliegen, um dort etwa Spuren von fossilem Wasser zu finden, während wir auf der — eigentlich falsch benannten —Erde (deren Oberfläche zu 70 Prozent vom Wasser der Weltmeere bedeckt ist) nicht nur die Ozeane mit ihren Tiefen noch gar nicht hinreichend erkundet haben. Tatsächlich leben wir auf einem noch weitgehend unbekannten Planeten, den wir in biologischer Hinsicht noch keineswegs hinreichend kennen. Denn der Großteil irdischer Tier- und Pflanzenarten ist bisher noch unentdeckt und unbekannt, wissenschaftlich weder benannt noch beschrieben. Das gilt zwar kaum noch für die auffälligen Wirbeltiere wie Vögel oder Säugetiere, umso mehr aber für das Heer eher unscheinbarer Wirbelloser — etwa Gliedertiere wie vor allem Insekten, aber auch Spinnen, Krebse oder Schnecken. In erster Näherung sei beinahe jedes Tier ein Insekt, so das Bonmot der Biosystematik angesichts der tatsächlichen Artenfülle just jener Arthropoden. Aktuelle Schätzungen gehen von acht Millionen Spezies aus. Dagegen wurde bisher gerade einmal ein Viertel dieser ungeheuren Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten systematisch erfasst; wobei etwa Bakterien und andere Mikroben hier gar nicht berücksichtig sind. Diese Biodiversität ist nicht nur der größte Reichtum der Erde - und zwar nur auf diesem Planeten; sie ist auch im globalen Maßstab bedroht.

 

Das sechste Artensterben - eine Krise von globaler Dimension

In der Erdgeschichte sind fünf größere Massenaussterbeereignisse dokumentiert, beim letzten verschwanden vor 66 Millionen Jahren infolge eines Meteoriteneinschlags unter anderem auch die Dinosaurier. Diesmal sind wir der Meteorit. Gegenwärtig verlieren wir weltweit in dramatischer Weise die biologische Vielfalt auf verschiedenen Ebenen – von der genetischen Konstitution einzelner Populationen über die Vielfalt der Organismenarten bis hin zu den Lebensgemeinschaften ganzer Ökosysteme. Bald werden in der Natur nicht nur die groen charismatischen Tierarten ausgestorben sein – wie etwa Tiger und Löwe, Elefanten und Nashörner, oder auch die Galapagos-Schildkröten, von denen einige Insel-Formen bereits für immer verschwunden sind. Längst sind in Afrika und Asien die Bestände von Großkatzen ebenso wie von anderen Großsäugern zusammengebrochen. Oft gibt es von ihnen nur noch Restbestände, in denen die letzten ihrer Art ums Überleben kämpfen.

Längst aber geht es nicht mehr nur um die sogenannten „Flagschiffarten“ des Naturschutzes; auf dem Spiel stehen vielmehr die Bestände und das Vorkommen einer Vielzahl von Arten. Dieses Verschwinden der Vielfalt und Fülle der Arten beginnt unmittelbar vor der eigenen Haustür, im eigenen Garten und in unserer Kulturlandschaft, wo massenhaft Vögel und Insekten verloren gehen. In Deutschland sind davon nachweislich drei Viertel aller Fluginsekten betroffen; diese aber sind Nahrung etwa der Vögel. In Europa verschwanden deshalb in den letzten vier Jahrzehnten allein 300 Millionen Acker- und Wiesenvögel; in Nordamerika dürften es sogar drei Milliarden (!) Vögel vor allem in landwirtschaftlich genutzten Flächen und in den Siedlungen sein. Betroffen von dieser „Defaunation" – der Entleerung der Tierwelt – sind vor allem die letzten Urwaldregionen der Welt; aber auch Fließgewässer, die wir allerorten begradigen, eindeichen und durch Wehre und Staustufen verbauen. So haben wir hierzulande Lachs, Stint und Stör weitgehend verloren und mit ihnen zahllose andere Fische. Oder nehmen wir den Boden, den wir überdüngen und dessen Organismen wir vergiften. Durch all dies ist das Artensterben allgegenwärtig und reicht von den Regenwäldern bis zu den Korallenriffen, von den weiten Savannenlandschaften bis zur Tiefsee. Überall haben die Verluste der Naturräume und ihrer Lebewesen eine erschreckende Dimension und Dynamik erreicht. Dieser globale Verlust an Arten lässt die Lebensräume biologisch zu Wüsten werden. Eine Vielzahl einschlägiger Studien zeigt, dass auf allen sechs Kontinenten und in sämtlichen Lebensräumen die Bestände und Vorkommen von immer mehr Arten in dramatischer Weise und immer schneller schrumpfen. Ganze Regionen verarmen, übrig bleiben Allerweltsarten und einige wenige Artenwendegewinner. Die Auswirkungen dieses rasanten Verlustes an biologischer Vielfalt aber dürfen wir nicht unterschätzen, sie sind von enormer ökologischer Brisanz - und auch für uns von erheblicher gesellschaftlicher Sprengkraft.

 

Das anthropogene Artensterben ist der neue Klimawandel

Gegenwärtig ist der menschengemachte Klimawandel in aller Munde. Dabei ist der vom Menschen verursachte massenhafte Exitus von Tieren und Pflanzen die wahre Krise des 21. Jahrhunderts. Denn ohne den einzigartigen biologischen Schatz der Artenvielfalt funktionieren die Ökosysteme der Erde nicht, auf die wir alle angewiesen sind. Auf ihnen basiert unsere Ernährung, angefangen von sauberem Wasser und gesunden Böden bis hin zu den unentgeltlichen Bestäuberdienstleistungen der Insekten, die so für Kaffee und Kakao, für Äpfel oder Tomaten sorgen. Wenn wir weiterhin Obst und Gemüse essen wollen, Fisch und Fleisch, dann brauchen wir dazu überall auf der Erde intakte Lebensräume, die aber nur von einer intakten Artengemeinschaft aufgebaut werden. Ohne eine vielfältige Natur können wir uns nicht ernähren und nicht überleben. Den wenigsten Menschen ist indes bewusst, in welchem Ausmaß wir von der Natur und einer vielfältig vernetzten Vielfalt ihrer Organismen abhängig sind — vom Brot bis zur Banane, Vom Kaffee am Morgen über den Salat am Mittag bis zum Wein oder Bier am Abend. Deshalb sind der Erhalt der Arten, funktionierende natürliche Ökosysteme und die Ernährung der Menschheit das zentrale Zukunftsthema.

 

Kein Thema Überbevölkerung?

Doch die Dramatik und Dimension des gegenwärtigen Artensterbens ist den meisten Menschen nicht bewusst. Dabei geht es nicht zuletzt auch um das Thema Überbevölkerung, vor dem wir die Augen verschließen; weil es historisch mehrfach vorbelastet ist, als neokolonialistisch oder faschistisch verbrämt wird, weil es religiös aufgeladen ist. Sicher aber auch, weil alle früheren Kassandrarufe — etwa einer „population bomb", die bald zündet — sich unter anderem dank der „grünen Revolution" nicht erfüllt haben. Bevor sich aber die Wachstumskurve der Weltbevölkerung zum Ende des Jahrhunderts hin allmählich abflacht, werden es in den unmittelbar vor uns liegenden Jahrzehnten erst einmal mehr Menschen werden. Mittlerweile leben 7,8 Milliarden Menschen auf der Erde. Nach den jüngsten Prognosen, etwa der Vereinten Nationen, kommen im Mittel zwischen zwei und drei Milliarden Menschen bis zur zweiten Hälfte des Jahrhunderts hinzu. Bereits jetzt verbrauchen wir im Übermaß Ressourcen und Raum, was wiederum die biologische Vielfalt und das Überleben vieler Tierarten auf der Erde bedroht. Es werden aber nicht einfach nur mehr Menschen werden, die mehr Landwirtschaft betreiben und mehr Flächen dafür benötigen. Viele dieser Menschen wollen eine Lebensweise, wie wir sie ihnen bisher in den westlichen Industrienationen vorleben. Damit werden wir die natürlichen Lebensräume noch weiter überstrapazieren — selbst wenn wir modernste Agrartechnologien und molelkulargenetische Innovationen in der Landwirtschaft einsetzen. Um weitere zwei oder drei Milliarden Menschen zu ernähren, werden wir noch mehr Natur opfern. Mit unserer Art der Landnutzung und Landwirtschaft werden wir bei noch mehr Menschen, die alle satt werden und sich besser ernähren wollen, in die Zwickmühle geraten, noch mehr Nahrung auf noch mehr Fläche zu erwirtschaften. Daher werden Überbevölkerung und Ressourcenknappheit die Biodiversitätskrise verschärfen. Wenn unsere lange steil nach oben weisende Bevölkerungskurve irgendwann gegen Ende des Jahrhunderts endlich kippt, wenn unsere Form der Bewirtschaftung von Landschaften zur Ernährung des Menschen an ihre letzten Grenzen stößt, werden wir Menschen längst ein Artensterben globalen Ausmaßes verursacht haben. Dazu kommt, dass die Menschheit wohl kaum friedlich schrumpfen wird; eher ist zu befürchten, dass dies mit Verteilungskämpfen und Migrationsbewegungen, mit Hunger und Chaos, Kriegen und. Krankheiten verbunden sein wird. Das aber wollen wir unseren Kindern und Enkeln ersparen.

 

Vom Ende der Evolution

Dafür bleibt uns nicht mehr viel Zeit. Wir müssen mehr natürlichen Lebensraum erhalten und großflächig Naturlandschaften wirkungsvoll schützen. Statt der derzeit 15 Prozent an Land und sieben Prozent im Meer sollten zukünftig wenigstens 30 Prozent der Erde, besser noch 50 Prozent geschützt werden, um dort die Artenvielfalt zu bewahren. Zu diesem Ziel 30 Prozent geschützter Flächen bis 2030 hat sich unlängst auch die EU-Kommission in ihrer Vision eines „Green Deals" bekannt. Es wird darum gehen, dies nun auch weiter international bei der Biodiversitätskonferenz im Mai 2021 im chinesischen Kunming zu verankern. Die nächsten Jahrzehnte bis Mitte des 21. Jahrhunderts werden darüber entscheiden, ob wir Millionen Tierarten vor dem Untergang retten -oder das Ende der Evolution jener Arten einleiten, mit denen der Mensch und seine Vorfahren während der vergangenen Jahrmillionen gemeinsam entstanden sind. Kein Zweifel: Das Leben wird andere Wege einschlagen, wenn es nicht gelingt; doch dann sehr wahrscheinlich ohne uns.

 

 

Matthias Glaubrecht „Das Ende der Evolution. Der Mensch und die Vernichtung der Arten“ (München: 2019, 1072 S., 38 Euro)

Matthias Glaubrecht ist Evolutionsbiologe, Biosystematiker, Wissenschaftshistoriker und Publizist. Er ist seit 2014 Professor für Biodiversität der Tiere an der Universität in Hamburg, wo er als Gründungsdirektor des Centrums für Naturkunde nun den Aufbau eines Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) verantwortet. Sein Buch „Das Ende der Evolution" erschien im Dezember 2019 bei C. Bertelsmann.

Ich weiß nicht, was ich schlimmer finde: die Tatsache, dass die Wissenschaft immer mehr Beweise für die Schädigung des Ökosystems bringt oder dass die Mehrheit der Menschen das Thema dennoch gekonnt ignoriert und keinen Grund zum (energischeren) Handeln sieht.

Ich denke dieses Buch bestelle ich mir im April. Das motiviert sicher noch einmal enorm für die neue Gartensaison ;-)

Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. (Victor Hugo)
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