Wie sinnvoll sind Insektennisthilfen?

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Doro
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Wie sinnvoll sind Insektennisthilfen?

Beitrag von Doro »

Ich bin u.a. in der Facebook Gruppe Naturgartenforum und ein Admin, Ralf Dahlheuser, schreibt in meinen Augen gute Artikel.

Ich habe seine Erlaubnis, den aktuellen Artikel zu "Insektenhotels" zu veröffentlichen. Ich denke, er lässt sich auch auf andere Tiere wie Vögel, Igel u.a. übertragen.

Wer sich über Ralf Dahlheuser informieren möchte, kann das auf der Seite von NaturaDB tun:

https://www.naturadb.de/portraits/ralf- ... #interview

"Nochmal was zum Thema Insektenhotels.
Ich stehe seit einiger Zeit in regem Kontakt mit einigen Wildbienenexperten. Und ich muss sagen, das hat mir neue, bzw. tiefere Erkenntnisse gebracht. Vor allem was Insektenhotels angeht.
Ich hatte hier

https://www.facebook.com/groups/www.nat ... 146309829/ (Anm. von Doro: Diesen Artikel hatte er schon im März 2023 geschrieben)

bereits vor großen Nisthilfen gewarnt, aber die Gefahr ist wohl noch größer als ich selbst dachte.
In der Tat entwickeln sich die typischen Besiedler dieser Nisthilfen zunehmend zu einem Problem. Grund ist die ständige Zunahme in den Gärten, einhergehend mit einer exorbitanten Zunahme der Individuen. Das führt nicht nur zu Problemen mit Parasiten und Krankheiten, unter denen dann auch die anderen Wildbienenarten leiden, sondern schafft auch vermehrt eine Nahrungskonkurrenz gegenüber den anderen Arten. Und das insbesondere, weil das Nektar- und Pollenangebot im Frühjahr doch recht überschaubar ist.
Mir ist das erst zuletzt so richtig klar geworden, als die Diskussion um ein „kleines“ Insektenhotel von 30 x 30 cm ging. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, dass diese Abmessungen 600 !!! Röhrchen beinhalten können.
600 Röhrchen aus denen unter guten Bedingungen im Schnitt 3000 Individuen schlüpfen. Und wenn man nun 2 oder drei dieser „kleinen“ Nisthilfen hat, und der Nachbar auch, und dessen Nachbar, und im Garten drei Häuser weiter auch noch ein paar stehen, dann kann man sich leicht ausrechnen, wie schnell das zu viel wird. Abgesehen von der Nahrungskonkurrenz nisten die Nachkommen ja dann nicht nur in einem Insektenhotel, sondern nutzen alle möglichen Löcher, die auch von anderen Solitärarten benötigt werden. Man produziert ergo eine richtige Wohnungsnot. Und nun rechnet mal aus, wie viele das bei einem Hotel von 1 x 1 m sind!
In diversen Insekten- und Gartengruppen liest man auch vermehrt, dass Löcher in Gartenmöbeln oder Fensterrahmen bezogen werden. Daraus zu schließen man müsse mehr Nistmöglichkeiten schaffen, ist zu kurz gedacht.
Der Gipfel sind dann noch diverse Angebote, bei denen man sich „Wildbienenbrut“ schicken lassen kann. Wohlgemerkt von Arten die keinesfalls bedroht sind und sich aller Wahrscheinlichkeit nach von selbst ansiedeln. Damit schafft man noch mehr Konkurrenz und betreibt nebenher auch noch Faunenverfälschung die der genetischen Vielfalt schaden.
Das hat mich dazu bewogen, Insektenhotels kategorisch abzulehnen. Wenn ihr Hotels mit mehr als 10 oder 20 Niströhren habt, bitte entfernt die. Eine Dose o.ä. mit 10 oder 20 Röhrchen reichen völlig aus um z.B. Kindern die Wildbienen nahe zu bringen und zu beobachten. Helft bitte zu vermeiden, dass aus gut gemeinten Aktionen Schaden produziert wird. Auch wenn es schwer fällt.
Nachtrag.....
Alternativ kann man Nisthilfen mit Lochdurchmessern unter 5mm anbieten. Da können die häufigen Arten nichts mit anfangen."
#raldawissen
#ralfda

Sein Artikel aus März 2023 (für diejenigen, die nicht bei Facebook sind):

"Wenn man die Natur betrachtet, und die wollen wir uns ja zum Vorbild nehmen, gibt es zwei verschiedene Taktiken Holz bewohnender Bienenarten. Die einen, wie die Blauschwarze Holzbiene, frisst sich selber Löcher in finalmorsches Holz.. Das sind aber die wenigsten und die lassen wir mal außen vor.
Die Nisthilfen die wir meist anbieten, zielen auf Arten die vorhandene Löcher im Holz oder sonstigen Substraten als Brutröhren nutzen. Diese Löcher im Holz werden von Käfer- und Holzwespenlarven gefressen. Und zwar von INNEN nach AUßEN, nicht wie hier behauptet wurde, umgekehrt. Es sind sog. Ausschlupflöcher die die Larve frisst und entweder das Holz verlässt um sich außerhalb zu verpuppen, oder sie verschließen den Ausgang mit Fraßmehl oder Kot, was das schlüpfende Insekt später durchstößt.
Solche Löcher sind keineswegs waagerecht gefressen, sondern in beliebigen Richtungen und Krümmungen, meist mit leichter Neigung nach unten. Generalisten wie die Gehörnte Mauerbiene sind nicht wählerisch was das Substrat angeht. Hauptsache es ist ein Loch. Ob das ein altes Dübelloch in der Hauswand ist, offene Rohrenden an Gartenmöbeln, Ablauföffnungen von Fensterrahmen, verlassene Brutröhren von Pelzbienen, völlig egal. Hauptsache Durchmesser und Tiefe kommen ungefähr hin.
Und diese gehörnte Mauerbiene ist gleichsam der Hauptkunde in sog. „Insektenhotels“.
Doch gehen wir nochmal zurück in die Natur. Wer hat schon mal einen toten Baumstamm oder eine Lehmwand gesehen, in der sich dicht an dicht hunderte von Löchern befinden? Wohl niemand, denn so was gibt es in der Natur nicht. Wir können also schon mal feststellen, dass die üblichen Nisthilfen NICHT natürlich sind.
Ausgehend davon können wir weiter feststellen, dass die Populationsdichte natürlicherweise recht gering ist. Und das ist sie seit Jahrhunderten, denn die Arten passen sich nicht nur hinsichtlich Klima und Nahrungsangebot an, sondern eben auch an die Menge geeigneter Nistplätze. Und daran wiederum sind die Populationen von Parasiten und Fressfeinden angepasst. Sprich, je dichter die Population der gehörnten Mauerbiene ist, um so größer ist auch die Population spezieller Fressfeinde und vor allem Parasiten und umgekehrt.
Jetzt sollte unser Hauptaugenmerk auf den Parasiten liegen. Es ist vollkommen logisch, dass je größer die Populationsdichte der Mauerbienen ist, auch die der Parasiten ist. Das wäre weiter nicht schlimm, wenn diese Parasiten denn auf die Mauerbiene spezialisiert wären. Sind sie aber nicht. Diese Brutparasiten, wie z.B. Wollschweberarten aber auch viele Schlupfwespen, parasitieren auch an anderen Wildbienenarten. Auch an bodenbewohnenden wie den frühen Sandbienen und anderen. Mit einem „Insektenhotel“ fördern wir natürlich auch die Menge dieser Parasiten. Und die bleiben halt nicht bei den Mauerbienen, sondern nehmen auch alles, was ihnen vor die Legeröhre kommt. Wir produzieren also mit Insektenhotels eine Überpopulation an Brutparasiten, die dann auch die seltenen und/oder bedrohten Arten stärker befallen als es unter natürlichen Umständen der Fall wäre.
Man kann also davon ausgehen, dass wir mit einem Insektenhotel anderen Arten als der gehörnten Mauerbiene schaden. Das kann aber doch nicht in unserem Sinne sein.
Metaphorisch gemeint ist das so, als würden wir alle Tauben züchten wodurch der Bestand an Habichten und Sperbern enorm ansteigt, die dann aber auch über unsere Singvögel herfallen. Das Beispiel hinkt natürlich, soll nur die Auswirkungen verdeutlichen.
Ein weiterer Aspekt ist das Nahrungsangebot. Auch das ist, wie die Parasiten, Populationswirksam. Je mehr Nahrung, um so mehr Nachwuchs und umgekehrt.
Nun züchten wir mit Insektenhotels eine große Menge Nahrungskonsumenten. Viel mehr, als es unter natürlichen Umständen von dieser Art gäbe. Was wir aber nicht oder kaum vermehren, ist das Nahrungsangebot. Wir setzen also mit Insektenhotels ein eher gleichbleibende Nahrungsangebot einer immer größer werdenden Zahl an „Konsumenten“ einer einzigen Art aus. Zumindest Konkurrenten derer, die zur gleichen Zeit erscheinen. Nochmal metaphorisch: Wenn wir auf einer Wiese hunderte von Hühnern halten, finden die Amseln kaum noch Würmer.
Zusammengefasst können wir also konstatieren, dass wir mit Insektenhotels die überwiegend von Generalisten genutzt werden, auf die anderen, seltenen und/oder bedrohten Arten einen sowohl im Hinblick auf Parasiten, als auch durch Verknappung des Nahrungsangebotes, eher negativen Einfluss ausüben oder diesen zumindest in Kauf nehmen.
Was nun? Keine Insektenhotels mehr?
Doch, natürlich können wir solche Nisthilfen anbieten. Es erfreut nicht nur uns, sondern ist vor allem für Kinder interessant und lehrreich wenn sie das Treiben am Insektenhotel beobachten können. Die Frage die wir uns ernsthaft stellen müssen ist, ob wir Hotelkomplexe wie in den Touristenzentren der Mittelmeerküste bauen müssen, oder ob wir gleiches nicht auch mit einer 30x30 cm großen Nisthilfe erreichen. Und ob wir davon ein Dutzend errichten, oder ob nicht eins auch ausreicht. Auflösung: Eins reicht ! 🙂
Der Mensch hat die erstaunliche Fähigkeit, etwas negatives noch negativer zu gestalten als es sowieso schon der Fall ist. Insbesondere dann, wenn damit Geld verdient werden kann. Gemeint ist hier der Vertreib von besetzen Mauerbienenröhren die der engagierte Käufer dann in seinem Garten ausbringt. Das ist so ziemlich die Krone der Unsinnigkeit. Zum einen weil die Mauerbiene alles andere als bedroht ist und sie quasi überall vorkommt.Zum anderen weil man damit eine Vermischung unterschiedlicher Genpools betreibt was Arten auf Dauer schwer schädigen kann. Lasst bitte, bitte die Finger davon.
Wollen wir unseren Wildbienen wirklich helfen, so haben wir zahlreiche Möglichkeiten. Wir können für offene Bodenstellen mit Strukturen sorgen. Wir können Stängel vom Vorjahr stehenlassen, möglichst viele heimische Frühblüher pflanzen oder fördern. Wir können Totholz, und zwar möglichst morsches, im Garten unterbringen, wir können heimische Pflanzen auswählen für darauf spezialisierte Wildbienen. Wir können für Vielfalt sorgen.
Abschließend noch ein paar Worte wie wir mit Beiträgen umgehen in denen ungeeignete oder viel zu große Nisthilfen vorgestellt werden.
Wer auch immer so was zeigt, wird nicht selten mit einem shitstörmchen belohnt.
„Wie kann man nur“, „hast Du dich nicht informiert“, „das ist Käse“ etc.
Nun ja, informiert hat derjenige sich vielleicht. Nur eben mit den falschen Quellen. Woher soll ein Laie denn wissen, was von der Flut an Beispielen im Internet richtig und falsch ist. Und „falsch“ ist leider in der Überzahl.
Ganz ehrlich ist mir eine große, vollkommen ungeeignete Nisthilfe sogar lieber. Denn die wird nicht entsprechend genutzt und hat damit auch keine negativen Effekte verursacht. Aber das ist natürlich nicht im Sinne des Erfinders.
Wer so ein Riesenhotel gebaut hat, oder auch ein kleines ungeeignetes, tat das ja nicht mit der Absicht etwas negatives zu bewirken. Vielleicht hat der Papa mit den Kindern oder für die Kinder so was in bester Absicht und mit viel Mühe und Enthusiasmus gebaut.
Ich hab übrigens auch so ein völlig unbrauchbares Ding im Garten. Ca. 50x60 cm groß und von einem Nachbarsjungen gebaut der mir damit eine Freude machen wollte. Natürlich hab ich das nicht abgelehnt und ihn auch nicht belehrt. Ab und zu kommt er rüber und will nach seinem Konstrukt schauen. Wir prüfen dann gemeinsam und stellen fest, dass nur sehr wenige der Röhren und Löcher besetzt sind. Und dann überlegen wir warum das so ist und wie man es das nächste mal vielleicht besser machen kann. Der Kerl ist überhaupt nicht enttäuscht, sondern macht schon Pläne für das nächste, wenn das alte (dieses Jahr 🙂 ) ausgedient hat. Aber das bauen wir dann gemeinsam. Schön klein und mit wenig Aufwand.
Gelassenheit und Aufklärung ist hundertmal besser als harsche Kritik. Auch und grade in den sozialen Medien."
#ralfda
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Re: Wie sinnvoll sind Insektennisthilfen?

Beitrag von Matthias »

Auf Instagram habe ich die Tage Videos zu eben diesem Thema gesehen. Er stellt völlig entsetzt fest, dass die Bewohner der Nisthilfen von Milben parasitiert sind und das Insektenhotel zur Todesfalle wurde.

Die Videos von den Bienchen voller Milben sind natürlich wichtige Aufklärung, aber auch nichts für Schwache Nerven.




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Re: Wie sinnvoll sind Insektennisthilfen?

Beitrag von Simbienchen »

Ich finde es gut, dass dieses Thema nochmal wieder an die Oberfläche kommt! Ein dickes Danke an Ralf ! Und dir Doro, dass du es uns hier zur Verfügung gestellt hast....

Wenn ich an die Anfangszeit des Forums denke und die vielen vorgestellten " Rieseninsektenhotels" .... :panik
Wie oft haben wir hier dazu geraten, doch bitte nur kleinere Nisthilfen an verschiedenen Stellen im Garten aufzustellen und über den Parasitenbefall aufgeklärt.

Mittlerweile geht es ( das Denken) wieder in die richtige Richtung....endlich ...Back to Nature... hat lange genug gedauert!

Anscheinend mussten die Menschen erst mit ihren eigenen Augen sehen, dass " gut gemeint" nicht immer "gut gemacht" ist und man den Tieren und Insekten ihre Würde wieder zurückgeben muss.

Ich finde deinen Satz an dieser Stelle auch sehr wichtig, Doro :
Ich denke, er lässt sich auch auf andere Tiere wie Vögel, Igel u.a. übertragen.
Wir müssen mit diesen ganzen Zufütterungen wieder aufhören, es bringt mehr Schaden als " Rettung", es geht nichts über natürliche Nahrungs- und Nistquellen.

Ab jetzt werde ich dazu raten, eher vom Aufstellen zusätzlicher Niststellen zu verzichten und somit Ralf' s Aufruf zu beherzigen:
Helft bitte zu vermeiden, dass aus gut gemeinten Aktionen Schaden produziert wird. Auch wenn es schwer fällt.
Wir haben genug andere Möglichkeiten unseren Insekten und Wildtieren durch unsere Naturmodule und Anpflanzungen zu helfen.
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Re: Wie sinnvoll sind Insektennisthilfen?

Beitrag von Amarille »

Das größte selbstgemachte Insektenhotel sah ich bei der Gartenführung bei Markus Gastl. Auch für den Nabu und alle anderen Naturgruppen war das Insektenhotel Standard als Ausdruck für die Unterstützung der Insekten. Inzwischen ist ein Insektenhotel Ausdruck oder Zeichen für Naturverbundenheit oder Ausgleich für den Schottergarten, begrenzt von Kirschlorbeer. Diesen Ablasshandel wird man so schnell nicht mehr ausrotten können. Meine Meinung.
Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor zwanzig Jahren. Die nächstbeste Zeit ist jetzt!
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Re: Wie sinnvoll sind Insektennisthilfen?

Beitrag von Simbienchen »

Diesen Ablasshandel wird man so schnell nicht mehr ausrotten können. Meine Meinung.
WIR können damit aber anfangen und somit ein Zeichen setzen!
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