Ganzjahresfütterung der Igel:...ist das sinnvoll?

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Simbienchen
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Ganzjahresfütterung der Igel:...ist das sinnvoll?

Beitrag von Simbienchen »

Ein ganz hoch emotionales Thema ist und bleibt weiterhin das Thema " Ganzjahresfütterung der Igel" , darum haben wir uns entschieden uns diesem Thema zuzuwenden und einiges zusammengetragen. Ihr alle wisst, dass wir durch die Zertifizierung zum Igelgarten versuchen, die Lebensbedingungen für unsere heimischen Igel in den Gärten zu verbessern. Die Tendenz den Igeln aber durch Zufütterung eine "all inclusive" Luxusversorgung zu bieten, ist nicht unsere Absicht. Der Igel soll in seiner Würde als Wildtier geschützt und gesehen werden und aus diesem Grund ist es wichtig, über einige Dinge / Fakten/ Hintergründe nachzudenken, bevor man anfängt, Igel in seinem eigenen Garten dauerhaft (mit hochverarbeitetem Dosen- und Trockenfutter) zu füttern.
Uns ist wichtig, dass Igelgärten und somit jeder andere Garten mit Schwerpunkt, zwar diejenigen Arten unterstützen sollen, aber innerhalb eines sich selbst nach Möglichkeit regulierendem kleinen Ökosystems so natürlich wie möglich.

Ganz allgemein gesehen, trägt derjenige, der Tiere dauerhaft füttert, eine riesige Verantwortung für sie....

Alle gewöhnen sich sehr schnell an die nicht versiegende Futter-Quelle und man macht sie in gewisser Hinsicht inkompetent, für sich selber zu sorgen. Man nimmt Wildtieren ein bisschen auch die Würde.

Die Verantwortung, die dann auf den Menschen (der es eigentlich gut meint, weil er damit die vom Aussterben bedrohten Igel retten möchte) der die Igel füttert, fällt, beinhaltet auch die Konsequenzen , die eine derartige Fütterung mit sich bringt. Man muss sich dann ernsthaft fragen, ob man die Reichweite dieses Eingriffes kennt und bereit ist, sie zu tragen und zu bezahlen (unter Umständen auch mit Tierarztbesuchen).

Schauen wir uns doch mal an, was passieren kann, wenn man Igel permanent durchfüttert. Der folgende Artikel (Link) beschreibt es derart gut, dass wir ihn zu diesem besonderen Thema hinzuziehen! Gerade was das Thema "Sozialstress und Futterneid" und "übertragbare Krankheiten von einem Igel auf den anderen". Besser können wir es auch nicht ausdrücken:

https://www.igel-in-bayern.de/igel-ganz ... uetterung/

Igel die jeden Abend zur Futterstelle kommen fressen auf dem Weg dahin und im Garten selbst viele Insekten und dezimieren die Insektenpopulation in diesem Areal noch schneller. Sie stehen dann auch andere Tieren wie z B. Vögeln nicht mehr zur Verfügung.

- wenn Mütter mit Jungtieren in der Umgebung nisten, kann es für die Kleinen gefährlich werden, wenn adulte Igel sie verbeißen und heftig wegstoßen. Wie in dem Video zu sehen.

- Durch die Fütterung überleben u.U. auch die Igel, die von Natur aus eigentlich zu schwach sind. Sie geben dann womöglich ihr schwächers Erbgut weiter. Es kommt also nicht nur durch Inzucht zu einer schwachen Igelpopulation, sondern auch durch "kranke" Igel.

- Die Igel, die durch die Fütterung länger am Leben gehalten werden, fressen ebenfalls die weniger werdenden Insekten.

- Futtermangel ist seit Millionen von Jahren ein Kriterium, warum Igel in den Winterschlaf gehen. Igel, die im Winter gefüttert werden, haben es da oft schwer.

- Befürworter der Winterfütterung argumentieren so: durch die Futterstelle besteht die Möglichkeit, die kranken Igel aufzunehmen. Das setzt aber voraus, dass man an der Futterstelle eine Wildtierkamera aufstellt.
Man lauert also rund um die Uhr den Igeln auf, um schnell zugreifen zu können. Eigentlich fällt das unter den Begriff des "Nachstellens" und das ist laut Tierschutzgesetz verboten.

- Die Natur hat es so eingerichtet, dass bis zu 80% der Jungtiere das erste Lebensjahr nicht überleben. Wenn wir jetzt aber diese schwachen und kranken Igel alle aufnehmen, gesund pflegen und wieder der Natur zurück geben, erhöhen wir künstlich immer mehr die Populationsdichte. Was das für die natürlichen Nahrungsquellen bedeutet, kann man sich denken.

- Populationsgröße:
Eine Population kann nicht unbegrenzt groß werden. Jede Population lebt in einem Ökosystem und ist abhängig von Ressourcen: Nahrung, Nistplätzen, natürliche Nahrung, Konkurrenz, Räuber.
Das massive Ausbreiten einer Art hat damit zu tun, dass z.B. Fraßfeinde fehlen. Die Ausbreitung geht dann auf Kosten einer oder vieler anderen Arten, die ebenfalls auf diesen Lebensraum angewiesen sind.

- Populationsdichte:
Sie ist Abhängig von der Anzahl der Individuen pro Fläche, entweder gleichmäßig verteilt oder an einer Stelle gehäuft. Die Dichte selbst kann regulierend auf das Wachstum einer Population wirken, unabhängig vom Nahrungsangebot.
Es kommt zum sogenannten Dichtestress: gesteuert durch verschiedene Stresshormone kommt es beispielsweise zu veränderten Geburtenraten.
Geringe Dichte = viel mehr Weibchen werden trächtig
Hohe Dichte = ca. 25% werden nicht trächtig.
Besonders bei Nutznießern kommt es zu typischen Krankheiten: Magengeschwür, Bluthochdruck, Nierenleiden, Aggressionen gegen Artgenossen.
Das kann man mit Sicherheit in gewisser Weise auch auf Igel übertragen. Wenn ein Igelpflegling stirbt, rätselt man oft, woran es gelegen haben könnte. Vielfach geht man von "Organveränderungen" aus. Die könnten z.B. stressbedingt sein.

Biologische Systeme sind immer im Fluss. Das Wachstum von Populationen verläuft in mehreren Phasen.
Exponentielle Phase: außreichend Platz, Nahrung, Licht, Wasser, Abwesenheit von Fraßfeinden und Konkurrenz. Nach anfänglich steigender Geburtenrate kommt es zum Wachstumststillstand, weil auch die Sterberate zunimmt.
Die stationäre Phase tritt ein, wenn die Umweltkapazitäten erschöpft sind, der Platz zu eng oder die Nahrung zu knapp wird. Es wird sich eine Individuenzahl einstellen, die für diesen Lebensraum möglich ist.
Hat sich eine Art zu stark vermehrt und die Ressourcen sind erschöpft, kommt es zur Absterbephase.

Wechselbeziehungen zwischen zwei oder mehr Arten haben im Laufe der Evolution ein kompliziertes aber eingespieltes Beziehungsgefüge entwickelt. Jeder Eingriff von außen, egal ob durch Menschen oder eingewandert Arten, kann dieses Gefüge auf unvorhergesehene Weise stören.

Da der Igel als Kulturfolger mittlerweile unter uns Menschen wohnt, sind die natürlichen Feinde (Dachs, Uhu, z.T. Füchse und Marder) vielleicht eher in den Hintergrund getreten. Außer in ländlichen Gegenden. An ihre Stelle sind der Mensch ( mit seinen Autos und Gartengeräten....etc.), Hunde und auf dem Vormarsch Waschbären getreten.

So weh es auch tut, aber man muss sich klarmachen, dass jede Art Ganzjahresfütterung egal für wen - sei es für die Vögel oder Igel- immer ein Risiko, ein System ( oder sogar mehrere) aus dem Gleichgewicht zu bringen, birgt.

Man füttert leider nie nur die Igel ( oder die Vögel) , sondern immer auch noch andere - evtl unerwünschte Nutznießer - und ein Hortus sollte eigentlich dahingehend geführt werden, dass diese kleine Gartenwelt eine Chance hat, mit sich ins Gleichgewicht zu kommen. Der Garten sollte auch nicht zu einer künstlichen "Futterstation" werden.

Das Ziel ist irgendwie abhanden gekommen, dass wir unsere Insektenpopulation unterstützen, damit sich die wenigen Prozente, die durch das massive Insektensterben ums Überleben kämpfen, irgendwie stabilisieren können. Halten wir die Population der Prädatoren künstlich stabil , bleibt jedoch gleichzeitig die der Beutetiere/ Futtertiere ( Insekten) weiter rückläufig, bricht dieses Gefüge immer mehr ein. Normalerweise reguliert sich ein funktionierendes Ökosystem von selbst, das kann es aber bei Ganzjahresfütterung nicht mehr. (Siehe Populationsgröße und - dichte )

Man muss sich auch immer wieder vor Augen halten, wo das Futter aus der Tierfutterindustrie herkommt und man damit auch wiederum das Tierwohl der Schlachttiere gefährdet. Man könnte jetzt natürlich sagen, dass Tierfutter ( Katzen - und Hundefutter) aus Schlachtabfällen produziert werden, die sowieso anfallen. Aber wenn diese hohe Nachfrage nach Dosenfutter mit Fleischanteil weiterhin besteht oder sogar noch ansteigt (weil Wildtiere nun auch durchgefüttert werden müssen), was ändert sich dadurch an den Haltungsbedingungen für unsere Nutztiere? Nichts, weil es nur um Masse geht.

Denkt ihr nicht auch, dass das natürlich gefundene Futter einfach das bessere ist, abwechslungsreicher und in allem an den Körper angepasst, z. B. Benutzung der Zähne usw....
Wie bei einem eigenen Hund - es ist einfach für Zähne, Kiefer, Verdauungstrakt etwas anderes, weiches, gekochtes, klebriges Dosenfutter bzw. hochverarbeitetes Trockenfutter zu fressen, als ein kleines, rohes Tier mitsamt Mageninhalt, Knochen usw.
Es gibt unterschiedlichen Energiebedarf in unterschiedlichen Lebensphasen, Trächtigkeit zum Beispiel. Igel sind nunmal auch "Raubtiere", und ganzjährig artgerecht mit "rohem" Fleisch...
Selbst das Fasten hin und wieder in der Natur ist gesund, wie bei Menschen auch. Wenn man nicht gerade ein Nager oder kleines Vögelchen ist, die wirklich immer "Stoff" brauchen.
Mit Dauerfütterung nimmt man die Tiere sozusagen aus dem natürlichen System raus, statt das System zu stabilisieren. Man bringt ihnen bei, stumpf in den Garten zur Futterstelle zu kommen, statt Strategien zu üben, wie sie gut überleben und sie auch an die Nachkommen weitergeben zu können. Wenn die Igelmama die Kinder lehrt, geht zur Terrasse, und dann zieht jemand um... dumm gelaufen.

Da wir wissen, dass dieses sensible und emotionale Thema für viele kontroverse Diskussionen sorgen kann, ist die Beitragsfunktion ausgeschaltet. Wir möchten mit diesen Worten einfach nur Denkanstöße geben....
"Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe engagierter Menschen die Welt verändern kann -tatsächlich ist dies die einzige Art und Weise, in der die Welt jemals verändert wurde!"
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