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Natur und Garten. Gut, oder?

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  • Beitrag veröffentlicht:10. Juli 2019
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Der Naturgarten boomt. Zumindest gefühlt. Es gibt Facebook-Gruppen mit beachtlichen Mitgliederzahlen, die sich damit beschäftigen. Gemeinnützige Organisationen, die sich freuen, dass das Thema endlich populär wird, werben um Mitglieder und jeder Handelskonzern, der etwas auf sich hält, unterstützt Aktionen in diese Richtung oder poliert sein Image sogar mit eigenen Stiftungen!

Ist doch gut, oder? Ja, aber.

Definiere Naturgarten

Aber beschäftigen wir uns doch erst einmal mit dem Begriff. Was ist denn eigentlich ein Naturgarten? Der Duden gibt keine Auskunft dazu, auch sonst finden sich keine allgemeingültigen Definitionen.  Das legt nahe, dass es keine gibt und jeder und jede Gartenwütige für sich entscheidet, was denn nun ein Naturgarten sei.

Der „Garten“ an sich ist sehr wohl definiert: Er ist ein „begrenztes Stück Land [am, um ein Haus] zur Anpflanzung von Gemüse, Obst, Blumen o. Ä“, meint der Duden dazu. Sehr vage, aber es impliziert schon, dass es ein vom Menschen gestaltetes Stück Land sein muss. Also keine Wildnis, die einer natürlich Sukzession unterworfen ist, sondern nach unseren Wünschen mehr oder weniger geformt wird.

Und was ist „Natur“? Hier hat der Duden eine klare Definition: Natur ist „alles, was an organischen und anorganischen Erscheinungen ohne Zutun des Menschen existiert oder sich entwickelt“. So betrachtet, kann es einen Naturgarten ja gar nicht geben – ein Widerspruch in sich.

Zusammenhänge erkennen? Hmmm.

Und doch versucht fast jeder halbwegs interessierte Mensch, spätestens seit Glyphosat und Bienen jeden zweiten Tag in den Nachrichten vorkommen, ein paar Brennnesseln stehen zu lassen und mindestens ein Insektenhotel aufzustellen und ein paar Blumensamen auszustreuen.

Und wenn die hocherfreuten Insekten – die diskriminierende Einladung „Zutritt nur für Bienen und Schmetterlinge!“ fröhlich missachtend – in Scharen einfallen, fangen wir an nachzudenken. Wespen? Ameisen? Und überhaupt: Schnecken? Das geht wirklich zu weit mit der Natur.

Besetzt: Färber-Hundkamille mit ramponiertem Bläuling, Marienkäferlarve und Wildbiene.

Uns ist jegliche Verbindung zu natürlichen Zusammenhängen abhanden gekommen. Langsam gibt es aber eine Wandlung. Zu langsam, aber es gibt sie. Da sind ziemlich viele Menschen, die etwas tun wollen, und zwar wirklich engagiert.

Selbstverständlich können wir mit unseren Gärten die Welt nicht retten, aber irgendwo muss man ja anfangen. Aber ich wäre keine anständige Österreicherin, wenn ich nicht auch ein bisschen was zu meckern hätte am aktuellen Naturgarten-Hype. Dieser eingebaute Filter, der alles hinterfragt, ist wirklich lästig. Aber hilft ja nix.

Da werden Vögel ganzjährig zugefüttert, weil sie keine Nahrung mehr finden, Igelhäuser aufgestellt, ein Insektenhotel reiht sich an das andere. Und plötzlich sieht man wieder überall Blumenwiesen!

Hier gibt es nichts zu sehen. Doch!

Aber nur die wenigsten schauen genauer hin und genau da möchte ich ansetzen. Denn der gute Wille ist da, die Menschen wollen aktiv etwas tun! Und viele strengen sich wirklich dabei an. Ich finde Tipps dazu, wo man das billigste Vogelfutter bekommt, denn wer ganzjährig füttert, braucht viel davon.

Man gibt sich Tipps, was Igel, Eichhörnchen und Rehe am liebsten fressen, damit man sie in den Garten lockt. Hausmäuse dürfen keinesfalls getötet werden, jeder winzige Käfer wird gerettet und in Foren verzweifelt um Hilfe gefragt, wie man bitte die eben zertretene Weinbergschnecke in ihrer Genesung unterstützen kann (ja das geht).

So gut ich jede einzelne Maßnahme finde, die für mehr Beachtung der kleinen Lebewesen, die unsere Erde zusammenhalten, sorgt. Mir fehlt in der ganzen Begeisterung tatsächlich oft der Bezug zur Realität. Und der Blick auf’s Ganze.

Nichts ist schöner, als ein ein Kind, das einen Regenwurm von der Straße rettet. Ich rette ja selbstverständlich auch jeden Regenwurm im Garten, den ich mit meiner spärlichen Bodenbearbeitung störe.  Trotzdem fände ich es schön, wenn wir größere Zusammenhänge sehen würden. Denn die hören bekanntlich nicht an unserem Gartenzaun auf.

Woher kommt’s?

Was bringt es, wenn wir Vögel mit tonnenweise Körnern aus zweifelhafter Herkunft füttern? Dort, wo diese Körner produziert werden, werden Lebensräume zerstört und oft genau das Gift versprüht, das wir in unserem Garten selbstverständlich niemals anwenden würden. Und nur selten füttert jemand ökologisch produziertes Futter, denn das ist sehr teuer.

Was bringt es, Lebensräume im Garten zu schaffen und Vögel zu füttern, wenn der Nachbar seine Katze frei laufen lässt, die keine Frösche im Gartenteich zulässt? Ein sensibles Thema und vor einigen Jahren mit weniger Wissen hätte ich auch noch anders darauf reagiert. Im Biorama gibt es dazu einen guten Artikel aus dem Jahr 2017, den jede/r naturinteressierte KatzenbesitzerIn gelesen haben sollte, vielleicht denkt sie oder er dann etwas anders.

Was bringt es, wenn wir Nisthilfen aufstellen, die Insekten aber nur wenig Nahrung in der Umgebung finden?  Immerhin lassen sich ein paar Arten bereitwillig darin nieder und wir können sie dabei hervorragend beobachten. Auch ich liebe im Frühjahr das Gesumse der rostroten Mauerbienen in meiner kleinen Nisthilfe.

Auch hier gibt es immer wieder Tipps zum möglichst kostengünstigen Kauf, womöglich beim Diskonter um € 9,99, wie kürzlich gesehen. Oder aus dem Baumarkt in allen möglichen Varianten. Wie kann ich denn Naturschutz im Garten betreiben mit Produkten, die in den meisten Fällen aus Massenproduktion unter (unterstelle ich hier mal) Ausbeutung von Natur und Menschen stammen? Und dazu aus ökologischer Sicht meist noch völlig wertlos sind? Wo doch einfach nur ein paar Brombeerstängel, ein bisschen altes Holz und ein scharfer Holzbohrer viel einfacher wären. Wie sinnvolle Nisthilfen ausschauen und wie nicht, dazu hat übrigens Werner David hier eine schöne Zusammenstellung gemacht.

sinnlose Nisthilfe in den Grazer Murauen zur Imageaufwertung des umstrittenen Murkraftwerks

Der Diskonter Hofer (Aldi) hat auf seiner Community-Seite sogar eine Anleitung zum Selbstbau online gestellt. Hätte sich die Dame mal vorher erkundigt, wie es aussehen soll, wenn es richtig gemacht ist.

Und Natur im Garten – der Name ist Programm? – ruft tatsächlich zum Weltrekordversuch, das größte Nützlingshotel zu bauen, auf. Samt Bauanleitung, an der Wildbienenexperten wohl auch noch etwas zu verbessern hätten. Und dass groß in diesem Fall nicht gleich gut ist, naja. Ich hoffe, die Aktion ist nur als Aufmerksamkeits-Werkzeug gedacht. Denn wer, wenn nicht Umweltorganisationen sollte vorbildlich agieren?

Ich schweife ab. Es hängt eben alles zusammen.

Der Feind im Schurrasen

Wir mähen kleinste Rasenflächen mit dem lauten und stinkenden Benzinrasenmäher oder neuerdings dem Rasenroboter. Dann vorzugsweise in der Nacht, damit wir auch möglichst viele Igel und anderes Getier erwischen, das dann erbärmlich an den Verletzungen krepiert. Und wir hören erst auf, wenn auch wirklich kein einziges vorlautes Gänseblümchen mehr das Auge stört. Dann werfen wir das Mähgut in die Biotonne, wo es stinkend und faulend wartet, bis es abgeholt wird, um im besten Fall irgendwo mit vielen anderen organischen Dingen, die wir so entsorgen, kompostiert wird. Das können wir dann wieder teuer kaufen, wir brauchen ja schließlich Dünger für den Rasen, dem wir die Nährstoffe zuvor feinsäuberlich entzogen haben. Naja, der letzte Punkt ist vielleicht etwas zu optimistisch. Rasendünger ist meist nicht organisch und dann noch gleich mit Herbiziden versetzt, damit vor der nächsten Rasur die Gänseblümchen gleich wissen, wie der Hase (nicht mehr) läuft. Ach so, das sind ja gar nicht wir. Das sind die Nachbarn. Die sich ärgern über unsere Löwenzahnwiese, die ihren hochsensiblen Rasen mit schwachem Immunsystem womöglich ansteckt.

Vorsicht, Taraxacum officinale! Der Feind aller Schurrasen. Äußerst beliebt bei Insekten, und verblüht dann auch bei Distelfinken

 

Und dann bauen wir – wir wollen ja was für die armen Bienen tun! – Blumenwiesen an. Naja, die sind schön und manche bieten sogar Nahrung für hungrige Insekten. Nicht für viele Arten, aber ein paar Generalisten finden da schon was. Die Honigbiene zum Beispiel, das Nutztier, das den ganzen Tag ganz frei herumfliegen darf, um den zahlreichen Wildbienen, die spezialisierter sind, die wenige Nahrung abzuluchsen. Ich liebe Honig, aber wer denkt denn schon daran. „Die Biene“ ist eben nicht nur die Honigbiene. Hat sich jetzt vielleicht schon herumgesprochen.

Biene Maja braucht Vielfalt

Eine (heimische) Wildblumenwiese ist nur im Frühsommer schön anzuschauen, im Juli und August ist der prächtige Anblick hinüber. Denn die meisten Blüten haben ihren Auftrag, bestäubt zu werden, erfüllt und gehen in die Samenbildung. Sie blühen ja schließlich nicht zum Spaß. Dafür bietet eine vielfältige Wiese auch vielen Insekten Nahrung. Und, wie hat schon Antoine de Saint-Exupéry so weise gesagt:

„Wer den Schmetterling möchte, muss die Raupe ertragen.“

Und damit auch die Raupenfutterpflanzen, die meistens nicht in die prachtvoll blühende Kategorie fallen. Bekanntestes Beispiel: die Brennnessel.

Und wenn man jetzt überall diese bunten einjährigen Blumenmischungen sieht, weiß der naturkundige Mensch: Die sind nicht nachhaltig, da sie hauptsächlich nicht heimische und einjährige Arten enthalten und nicht für die Dauerbepflanzung gedacht sind. Heißt, sie brauchen immer wieder einen Bodenumbruch und werden neu angesät. Was aber viel wichtiger ist: Meist ist auf den günstigen Packungen die Herkunft des Saatguts nicht angegeben. Womit wir wieder beim Thema ökologischer Anbau wären. Also wirklich hinschauen und lieber bei vertrauenswürdigen Anbietern kaufen.

„Schmetterlingswiese“ in Eisenstadt. Gut gemeint ist nicht immer sinnvoll, da hilft auch ein Schild nicht

 

Auch sind in diesen Mischungen Pflanzen mit unterschiedlichen Bedürfnissen gemischt. Also zum Beispiel Wiesenmargeriten oder wilde Möhre als typische heimische Wiesenblumen auf Magerstandorten und einjährige Sonnenblumen, Schmuckkörbchen und Borretsch, die eigentlich ganz andere Bedingungen brauchen. Der Grund für die Mischung ist, dass die meisten Wildblumen zwei- oder mehrjährig sind. Sie blühen also erst im zweiten Jahr. Das sagt einem aber keiner. Um es schon im ersten Jahr hübsch zu haben, mischt man Einjährige, meist nicht heimische Arten dazu. Diese werden sich aber in einer Wiese nicht lange halten, da sie andere Bedürfnisse haben. Und umgekehrt.

Also vorher schlau machen und besser einzelne Arten zusammenstellen (immer mit botanischem Namen einkaufen!) oder gut beraten lassen. Das funktioniert aber selten im Gartencenter oder beim Blumenhändler ums Eck. Und nochmal: bitte immer auf die Herkunft achten! Auch Wildblumen werden übrigens im großen Stil unter Einsatz von Herbiziden vermehrt, vor allem wenn es um größere Mengen für die Landwirtschaft geht. Eine kleine Liste an guten Anbietern findet ihr schon in diesem Artikel.

Fangen wir endlich an!

Niemand wir immer alles richtig machen – und was ist das schon? Aber wir können uns zumindest ein bisschen bemühen. Wir, die wir es uns leisten können, über Zusammenhänge und Kreisläufe nachzudenken.

Wenn wir naturnah gärtnern, ist es dann nicht auch selbstverständlich, dass wir auch als KonsumentInnen kritischer sind? Dass wir selbstverständlich nur ökologische Produkte kaufen, dass wir insgesamt weniger von allem kaufen und wegwerfen? Dass wir Dinge reparieren und wiederverwenden? Dass wir nicht unnötig Ressourcen verschwenden und Dinge hinterfragen? Weil wir wissen, dass alles, was wir tun, woanders Auswirkungen hat.

Und ja bitte, Lassen wir mehr Natur in unsere Gärten – sie kommt garantiert auch ganz von selbst, auch auf kleinsten Flächen!

Einfach mal weniger machen und die kleinen, unscheinbaren Vorgänge beobachten. Und überrascht sein, was man alles dabei entdeckt! Und hinterher bist du so entspannt wie nach einer Stunde Yoga.

Aber bitte dabei das Nachdenken nicht vergessen. Zumindest davor und danach. Und dabei genussvoll in eine Mieze Schindler beißen. Die gibt’s nämlich (fast) nicht zu kaufen.


Autor:
Alexandra Scheucher
Wildgarten.org
Wildgarten auf FB

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